Imre Kertész Kolleg Jena
Lutz Niethammer im Gespräch mit Irina Scherbakowa

copy right: Bundesfoto/Laurin Schmid 2022

02. August 2025

Zum Tod von Lutz Niethammer

Nachruf

Unter deutschen Zeithistorikern war Lutz Niethammer eine Ausnahme. Geschult an der von ihm maßgeblich vorangetriebenen Oral history galt sein forschendes Interesse seinen Gesprächspartnern kaum weniger als dem jeweiligen Gesprächsthema. Die so entstehende Intensität war Inspiration und Herausforderung zugleich, zumal für uns Jüngere. Lutz Niethammers Interesse am östlichen Europa erwachte spät, wohl erst im Zusammenhang mit seiner Beratertätigkeit bei der Entschädigung ehemaliger ost- und ostmitteleuropäischer Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in den 1990er Jahren und seiner Zusammenarbeit mit Memorial. Dafür war es umso intensiver, gespeist aus tiefer Verantwortung für die Spuren des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Verbrechen, zugleich aus Neugier auf die so lange verschlossenen Gesellschaften hinter dem Eisernen Vorhang und ihre Erfahrungen mit den kaum erst überwundenen Diktaturen. Er wollte zuhören, lernen, auch dort zu verstehen versuchen, wo sich tiefste Abgründe auftaten.

In der eigens für ihn geschaffenen Position des Senior Advisor hat Lutz Niethammer das Imre Kertész Kolleg von Beginn an engagiert begleitet. Gleich zu Beginn versuchte er, die Philosophin Agnes Heller und den Soziologen Zygmunt Bauman in ein öffentliches Gespräch darüber zu bringen, wie biographisches Erleben ihre jeweils wegweisenden Beiträge zur Entschlüsselung des Holocaust bestimmte. Weniger sichtbar, aber nicht minder wichtig waren die vielen Einzelgespräche, die er mit unseren Fellows führte. Auch über seine aktive Tätigkeit als Senior Fellow hinaus blieb er dem Kolleg bis zum Schluss verbunden.

Wir sind ihm dankbar, und wir werden ihn vermissen.